Tragfähig und belastbar: Seilerinnen und Seiler
Seilerinnen und Seiler tragen Verantwortung. Sie beherrschen die „Kunst der Tragfähigkeit" – ihre Produkte müssen belastbar sein, denn häufig dienen sie der Sicherheit. Reißt ein Seil, kann das negative Folgen haben: Tiere nehmen Reißaus, beim Bergsteigen stürzt man ab, Lasten fallen aus der Höhe herab. Die Kunst besteht also darin, die Reißfestigkeit der Produkte richtig zu berechnen.
Die Herstellung von Seilen gehört zu den ältesten Handwerken, dessen Tradition sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Das Seilerhandwerk war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Herstellung von Seilwerk wie Stricke, Seile und Kordeln spezialisiert. Ihre Blütezeit erlebte die handwerkliche Seilherstellung mit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert – Fabriken entstanden, das Transportwesen auf dem Schiffs- und Landweg florierte und die Bauwirtschaft boomte. Der Bedarf an Seilen wuchs.
Seilerinnen und Seiler fertigten sowohl kürzere als auch längere Seilwerke an, zum Beispiel für die Landwirtschaft, den Bergbau, das Transportgewerbe oder für Transmissionen in Fabriken. Im 19. Jahrhundert wurden viele Seilereibetriebe zusätzlich modernisiert: Holzteile – wie zum Beispiel am Seilerrad – konnten durch Metallteile ersetzt werden und sorgten für robustere und langlebigere Arbeitsgeräte. Die Verwendung eines aus Gussstahl hergestellten Kammgeschirrs ermöglichte beispielsweise die Produktion festeren und stärkeren Seilwerks. Hinzu kam, dass die Herstellung durch die vermehrte Einfuhr von günstigen europäischen und überseeischen Rohstoffen preiswerter ausfiel. In dieser Zeit wuchs nicht nur die Zahl der Beschäftigten in den deutschen Seilereien, sondern auch die Anzahl der Betriebe stieg deutlich an.
Betriebszahlen im südlichen Landkreis Osnabrück 1833 bis 1910
Ein Blick auf die Statistik der Betriebszahlen im südlichen Landkreis Osnabrück, zu dem auch Glandorf gehört, verdeutlicht diese Entwicklung:
Jahr | Anzahl der Betriebe |
---|---|
1833 |
11 Seilereien |
1861 |
24 Seilereien |
1881 |
26 Seilereien |
1910 |
19 Seilereien |
1950 |
16 Seilereien |
1988 |
2 Seilereien |
Die Seilerei Lefken aus Glandorf im südlichen Niedersachsen bestand ursprünglich aus zwei Seilerbahnen. Die 72 Meter lange Doppelspinnbahn und das vorgelagerte Gebäude wurden 1964 vom LWL-Freilichtmuseum Hagen – damals noch Westfälisches Freilichtmuseum Technischer Kulturdenkmale – übernommen und 1967 wiederaufgebaut. Das Foto stammt aus den 1930er-Jahren.
Mehr zur Betriebsgeschichte der Seilerei Lefken erfahren Sie hier.
Hauptsächlich arbeiteten die Seilerinnen und Seiler aber weiter in Kleinbetrieben, oftmals nur mit einem Meister, dessen Familie und einem Lehrling oder einer Hilfskraft. Da die Produktpalette recht groß und die Arbeiten vielfältig waren, erfolgte die Bezahlung im Zeitlohn.
Häufig betrieben diese Seilereien zusätzlich einen Kleinhandel für Seiler- und Kurzwaren. Sie bedienten in erster Linie den lokalen Markt, Privatkunden wurden über den angegliederten Kleinhandel bedient.
Gängige Ausgangsmaterialien für die Seilerprodukte waren Hanf, Flachs oder Sisal. Ihre Rohstoffe bezogen die meisten westfälischen Seilereien vom Hanfmarkt in Telgte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam die Kunstfaser hinzu.
Die ersten Seilfabriken entstanden nach dem Ersten Weltkrieg, sie leiteten den Niedergang der handwerklichen Seilherstellung ein. Durch die Maschinisierung, zum Beispiel in der Landwirtschaft, waren Seilereiprodukte zusätzlich immer weniger gefragt. Viele Seilereibetriebe schlossen, einige suchten sich neue Absatzmärkte. Vor allem kleine Handseilereien wurden zunehmend unwirtschaftlich. Ab etwa 1960 existierten nur noch wenige Kleinbetriebe und einige mittelgroße Handseilereien.
Achtung, nicht verwechseln: Die Seilerbahn ist nicht die Reeperbahn!
Das Reepschläger- und das Seilerhandwerk unterscheiden sich durch ihre Produkte und ihren Kundenkreis. Während Reepschlägerinnen und Reepschläger für die Schifffahrt schweres Seilwerk und Taue herstellen, produzieren Seilerinnen und Seiler vor allem für den landwirtschaftlichen Markt und die Fischerei. Ihre Produktpalette war und ist zudem deutlich breiter: dazu zählen Bindfaden, Gurte oder gestrickte Taschen.
Reepschlägerwerkstätten sind hauptsächlich in Küstennähe zu finden. Ihre Produkte werden sowohl lokal als auch international verkauft. Ihre Waren gehörten zu den Exportschlagern der Hansestädte. Seilerbetriebe hingegen treten sowohl in Küstengebieten als auch im Binnenland auf. Sie bedienen hauptsächlich den lokalen Markt und sind kleinbetrieblich organisiert.
Lange Tradition: das Seilerhandwerk heute
Auch heute gibt es den Ausbildungsberuf zum Seiler bzw. zur Seilerin noch. In der dreijährigen Ausbildung lernen die Lehrlinge, Seile für alle Verwendungszwecke herzustellen. Je nach Schwerpunkt beschäftigen sich die Auszubildenden aber auch mit der Seil- bzw. Netzkonfektion.
Seilereibetriebe fertigen heute unter anderem Schiffstaue, Lastenseile und Sicherheitsseile. Die Produkte werden aus chemischen und natürlichen Fasern oder aus Stahldraht mit Maschinen hergestellt. Die Maschinen arbeiten in schneller Taktung. Die Seilerinnen und Seiler sind dabei für die Bestückung, Bedienung und Programmierung der Maschinen zuständig. Historische handwerkliche Herstellung ist in den modernen Seilereien kein Thema mehr.
Literatur
- Thomas Kahle: Seilerei – ein Handwerk mit langer Tradition. Seilereiausstellung im LWL-Freilichtmuseum Hagen. In: Technische Kulturdenkmale. Zeitschrift für Handwerks- und Technikgeschichte 41 (2004), S. 9–10.
- Heinz-Peter Mielke: Seiler und Reepschläger. In: Reinhold Reith: Das alte Handwerk. Von Bader bis Zinngießer. München 2008, S. 188-193.
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Thomas Schindler: Handwerkszeug und bäuerliches Arbeitsgerät in Franken. Bestandskatalog des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim. Bad Windsheim 2015, S. 630–649.